Tim hatte bereits seine Sachen gepackt, den Mantel an, Schlüssel in der Hand und schickte sich gerade an zu gehen als Diane ihn an der Tür zurückhielt.
"Ich habe gerade etwas zum Laufen gekriegt. Das musst du einfach sehen."
"Ich muss den Bus kriegen."
"Du kannst doch den nächsten nehmen."
"Die fahren alle halbe Stunde" erwiderte er. "Ich hoffe das ist es wert."
"Es ist großartig. Schau auf den großen Bildschirm, das ist besser als auf mein Terminal zu starren."
"Wird das lange dauern?"
"Nur einen Moment. Okay, wie du weißt geht es um Quantencomputer, ja?"
"Deswegen sind wir hier," antwortete er. Sie - also Tim, Diane, ihre acht Kollegen, ihre beiden Vorgesetzten, vier Chemieingeneure, sechs Elektrikingeneure, der Hausmeister, eine zählbare Unendlichkeit TEEO 9.9.1 ultramitteldichte selektiv-schäumende nichtelastisierte Quantenwellenformfrequenzratenbandkollabierungsselektoren und ein einzelnes gebeuteltes Tau Neutrino mittendrin - stellten die Gesamtheit der menschlichen Errungenschaften im Forschungsfeld der Quantenrechner dar. Präziser, sie hatten es gerade in dieser Woche geschafft einen Quantencomputer zu bauen. Theorien die ein Trio unverschämt intelligenter mathematischer Statistiker über zehn Jahre hinweg erarbeitet hatten, die nur ungefähr fünfundfünfzig andere Leute eine Ahnung hatten, wurden in die Tat umgesetzt; Sie hatten eine Maschine konstruiert die Informationen mit einem - was man ohne zu übertreiben - als ein einzelnes fundamentales Partikel mit unendlich Rechenleistung und Speicherkapazität bezeichnen konnte.
Es war noch nicht genug Zeit vergangen, als dass die Welt von diesen Neuigkeiten schon gravierend verändert worden war.
Dennoch war es spannend. Heiliger Zarquon, sagten sie zueinander, ein unendlich mächtiger Computer? Das war wie tausend Weihnachten zugleich. Ein Programm mit einer unendlichen Schleife? Man war sich sicher, dass dieses Ding eine unendliche Schleife in unter zehn Sekunden ausführen konnte. Für jede Zahl prüfen ob sie eine Primzahl ist? Einfach. Alle Stellen von Pi? Kinderkram. Das Halteproblem? Gelö-höst.
Sie hatten es noch nicht veröffentlicht. Sie waren am Programmieren. Natürlich hatten sie die Maschine nicht gebaut nur um zu Beweisen dass es geht. Sie hatten Pläne. In einigen Fällen hatten hatten sie schon fertigen Code. Eines dieser Programme war Dianes. Es war ein Universumssimulator. Sie hatte mit einem simulierten Urknall angefangen und die Simulation ca. 13.6 Milliarden Jahre vorgespult, bis kurz vor der Gegenwart, der Entwicklung des Universums zuschauend - nur wenig notierend, in der Gewissheit, dass später ja noch genug Zeit wäre, bestaunte sie die Wunder der Schöpfung.
Doch dann, diesen Freitag, hatte sie wieder angefangen zu programmieren. Es war reiner Zufall, dass sie gerade jetzt, als Tim der Zweitletzte im Labor zu gehen wollte mit ihrem Projekt fertig wurde. "Schau mal was ich gefunden habe" sagte sie, einige Tasten drückend. Eine der ersten Sachen die sie Implementiert hatte war ein Sichtfenster mit dem man das simulierte Universum beobachten konnte.
Tim schaute und sah eine blau-weiße Kugel in der Dunkelheit, beleuchtet von einer Seite durch einen hellen gelben Schimmer. "Das muss ein Witz sein, wie lange hast du gebraucht das zu finden? Im gesamten Kosmos mit zehn hoch zweiundzwanzig Sternen?"
"Naja, garkeine Zeit"
"Ja, ja, natürlich."
"Die Suchroutine zu schreiben und einzustellen wonach gesucht werden soll hat etwas gedauert."
"Und das ist ganz sicher die Erde?"
"Ja, die Kontinente stimmen mit dem überein was wir vor ca. dreihundert Millionen Jahren hatten. Ich kann die Zeit vorspulen, eine Million Jahre pro Schritt, und anhalten sobald wir nahe an der Gegenwart angekommen sind."
"Kannst du auch zurückspulen?"
"Ah, nein. Frag mich montag nochmal"
"Dann pass mal auf, dass du nicht zu weit spulst. Wir sind ja schon fast da. Was ist mit dem Sichtfenster? Kannst du das bewegen?"
"Wir können uns die Simulation von jedem beliebigen Winkel aus angucken."
"Wir brauchen einen Ort wo zuerst Zivilisation entstanden ist. Irgendwas was leicht zu finden ist. Gibt es das Nildelta schon?"
"...Ja, ich habs."
Sie spulten vor, Jahrtausend um Jahrtausend bis die Ägyptische Zivilisation begann sich abzuzeichnen. Diane bewegte das Sichtfenster, versuchte die Pyramiden zu finden, mit wenig Erfolg - das Steuersystem war unhandlich und musste perfektioniert werden, und es gab viel Nil abzusuchen. Also fokussierte sie sich auf die Britischen Inseln, und fand den Ort an dem einmal London gegründet werden sollte im Tal der Themse. In jetzt Schritten von einem Jahrhundert spulte sie weiter vor und orientierte sich an der Entwicklung Londons um die Gegenwart nicht zu verpassen.
"Ist das jetzt die Erde? Also, ist das die richtige Erde? Nicht irgendeine andere Erde, leicht verändert durch zufällige Fluktuationen."
"Die Simulation fängt mit dem Urknall an wie er von den aktuellsten Theorien beschrieben wird und berechnet Zeitschritte von Planckzeitlänge mit den normalen Naturgesetzen mit beliebig hoher Genauigkeit. Es berechnet nicht das gesamte Universum, sondern nur den Teil auf den wir schauen, was den Prozess ein wenig schneller macht... metaphorisch gesehen... aber es ist immernoch eine Simulation des Universums die so genau ist wie möglich. Zivilisation - genauer gesagt, der gesamte Verlauf der Geschichte - sollte sich auf dieser Erde genau so entwickeln wie in der Realität. Es ist alles genau berechnet, auf unendlich viele Dezimalstellen genau."
"Das ist mir zu viel" sagte Tim.
"Warte, das hier wird dir zu viel sein," sagte Diane. Sie zoomte heraus und verschob das Sichtfenster nach Norden. "Ich habe die Gegenwart gefunden, oder höchstens ein Jahr zu früh. Schau mal. "Hügel und Straßen zogen vorbei. Diane folgte ihrer alltäglichen Route die sie von London zum TEEO Labor führte. Sie fand das Gebäude und - in einem nahen Hügel die Höhle in der der Computer gebaut war. Oder gebaut werden würde.
Sie begann Tag für Tag vorzuspulen.
"Da bin ich!" rief Tim. "Und da bist du und Bryan B., und... wow, Ich kann garnicht glauben wie lange wir für den Bau gebraucht haben."
"Vierhundertundzehn Tage oder so. Genau nach Plan, auch wenn dir das sehr lang vorkommt."
"Verging wie im Fluge," antwortete Tim. Er legte seine Tasche ab und zog die Jacke wieder aus. Er hatte akzeptiert, dass er seinen Bus schon lange verpasst hatte.
"Okay," sagte Diane. "Wir sind da. Das hier ist der Kontrollraum. Das da ist der Quantencomputer unten im Hauptlabor. Das ist vor einer Woche. Das ist gestern. Das hier ist vor ein paar Stunden... und... einen Moment..."
Sie drückte einen gerade als die Uhr an der Wand und die auf dem Bildschirm die gleiche Zeit zeigten. Sie bewegte die Kamera nach unten und sie blickten sich selbst über die Schulter.
Tim winkte der Kamera zu während er weiter auf den Bildschirm schaute. Dann schaute er hoch zu der Stelle wo die Kamera sein müsste. Er sah aber nur eine leere Wand. "Da ist ja garnichts. Das ist ja seltsam."
"Nein, das ist ganz normal. Das ist die Realität. Die Realität kannst du dir nicht von jeder beliebig Warte anschauen, du musst deine Augen benutzen. Aber was du auf dem Bildschirm siehst ist eigentlich nur eine Datenbankabfrage. Die Datenbank ist riesig, aber das ist egal. Was du siehst ist nicht dein Spiegelbild. Das ist jemand anderes."
"Jemand anderes der sich genauso verhält wie ich."
"Und der gerade genau die gleiche Unterhaltung führt, aber Audioausgabe ist ein bisschen kompliziert, so weit bin ich noch nicht gekommen," sagte Diane.
"Die Kamera sieht man in deren Universum also auch nicht?"
"Das habe ich noch nicht einprogrammiert."
"...aber das könntest du. Oder? Wir können da Objekte manifestieren? Wir können die Simulation verändern?" Diane nickte. "Cool. Wir können Gott spielen. Wortwörtlich." Tim stand auf und versuchte die Erfahrung zu verarbeiten. "Das währe Wahnsinn. Kannst du dir vorstellen in einer Maschine zu leben? Eines Tages herauszufinden dass du nur ein Konstrukt in einer Maschine bist? Was wir damit anstellen könnten, wir könnten einfach mal die Gravitation umkehren, eine Antimaterieerde mit der echten kollidieren lassen, dann alles wieder rückgängig machen und es nochmal machen... und nochmal und nochmal... Oh, Mann, wie unethisch das wäre. Sehr unethisch natürlich." Er dachte einen Moment nach, und lehnte sich dann über Dianes Schulter die gerade weiteren Code schrieb. "Dieses Universum gleicht unserem in allen Details?"
"Ja," antwortete sie, weitertippend.
"Also was schauen die da gerade an?"
"Ein simuliertes Universum"
"Eine Simulation von ihnen?"
"Und von uns, genau genommen."
" Und sie reagieren genauso wie ich? Das heißt das zweite Universum dadrin enthält ein weiteres ich was genau dasselbe tut? Und darin dann Aleph-Null identische Quantenuniversen, ineinander verschachtelt? Ist das überhaupt möglich?"
"Unendlich Rechenleistung, Tim. Ich dachte du hast das Teil entworfen?"
"Habe ich, aber sowas hätte ich nicht erwartet. Ich habe nur uralte Mathematische Probleme gelöst und unsere Pressemitteilung von letzter Woche geschrieben. Also... wenn ich recht habe, ist deren Universum genau wie unseres, solange wir nichts daran verändern. Also was passiert wenn wir es doch tun? Jede Version von uns tut exakt das gleiche, also passiert im jeweils darunterliegenden Universum auch genau das gleiche zum gleichen Zeitpunkt. In unserem Universum passiert nichts. Aber alle darunterliegenden Universen divergieren von unserem auf genau die gleiche Art und Weise. Und alle unsere simulierten Kopien schließen daraus dass sie in einer Simulation sind, aber wir wissen, dass wir echt sind, oder?"
"Ich höre dir noch zu," sagte Diane, weiterhin tippend.
Beide Tims liefen im Labor auf und ab. "Okay, führen wir den Gedanken etwas weiter. Sagen wir wir hören danach mit der Manipulation auf, und schauen was passiert - aber alle simulierten Leute machen weiter. Dieses mal divergieren alle Simulationen auf die gleiche Art und Weise, außer die Oberste. Und wenn sie schlau sind, wovon wir ausgehen können, und sie das auch versuchen wollen, was weniger sicher ist, können sie das immer wieder wiederholen bis sie wissen auf welcher Stufe sie sich befinden... Wahnsinn."
"Tim, schau mal hinter dir," sagte Diane. Sie drückte einen letzten Knopf und aktivierte das kurze Interferenzprogramm das sie gerade geschrieben hatte. Gleichzeitig drückte die Diane auf dem Bildschirm ihren Knopf, und die Diane auf dem Bildschirm von Diane auf dem Bildschirm tat dasselbe und so weiter.
Time sah hinter sich und erschrak zutiefst. Unter der Decke schwebte eine einen Fuß breite, vollkommen schwarze Kugel, die die Uhr teilweise verdeckte. Sie war völlig unberührt von der Umgebung. Es schien ein Loch im Raum zu sein.
Diane lächelte schief während Tim sich nervös an den Haaren zupfte. "Wir sind Konstrukte in einem Computer," sagte er erschüttert.
"Ich habe eine extrem interessante wissenschaftliche Arbeit über genau dieses Thema verfasst, Tim, vielleicht hast du es nicht gelesen als ich dir letztes Jahr eine Kopie davon gegeben habe. Es gibt eine unglaublich lange Reihe von Quantensimulationen. Unendlich viele. Jede gleicht der anderen und alle glauben ganz oben in der Reihe zu sein. Es ist unendlich wahrscheinlicher dass unser Universum irgendwo mittendrin liegt als ganz oben."
"Das ist Wahnsinn. Totaler Wahnsinn."
"Ich schalte das Loch aus."
"Du schaltest ein ganz anderes Loch aus. Irgendwo da oben, schaltet das echte Du das echte Loch aus."
"Beides passiert genau gleichzeitig." Sie drückte eine weitere Taste, und die Löcher verschwanden. "Ich fasse es mal für dich zusammen. Es gibt eine Feedbackschleife. Jedes Universum beeinflusst das darunterliegenden auf eine etwas andere Weise. Aber irgendwo in der unendlichen Reihe muss das System sich einem Stabilitätspunkt annähern, es gibt einen Punkt ab dem sich jedes Universum genauso verhält wie das worin es simuliert wird. Ich meine, dass wir uns mit großer Wahrscheinlichkeit sehr tief in dieser Reihe befinden. Also sind wir sehr wahrscheinlich fast an diesem Punkt. Alles was wir in unserem Universum machen wird in den Universen darüber und darunter genauso passieren. Das kleine Modell da könnte genauso gut unser Universum sein. Das bedeutet erstmal dass wir aufpassen müssen den tieferliegenden Universen nichts schlimmes anzutun, da genau dasselbe auch uns passieren wird. Außerdem können wir diesen Leuten gutes tun und uns dadurch selber helfen."
"Darüber hast du nachgedacht?"
"Das steht alles in dem Artikel den du übersehen hast, Tim, du solltest mehr lesen."
"Puh. Heute war ein sehr schlechter Tag für mein Ego, Diane. Das einzige was mich ein bisschen beruhigt ist, dass es irgendwo da oben, an der Spitze der fast unendlich langen Reihe an Quantencomputern, eine Version von dir gibt die total falsch lag."
"Sie ist in der Minderheit."
Tim sah auf die Uhr und nahm seine Tasche. "Ich muss los, sonst verpasse ich den nächsten Bus auch noch. Ich vermute wir können uns damit auch noch nächste Woche beschäftigen?"
"Naja, wir können es nicht einfach ausschalten."
"Warum nicht?" fragte Tim schon fast an der Tür und hielt abrupt an. "Oh."
"Genau."
"Das... könnte ein Problem sein."
"Ja."